Jimi Hendrix

Jimi Hendrix

Die letzten Tage einer Legende

aus GoodTimes 5/2010 von Alan Tepper

GoodTimes

 

Wie kaum ein anderer Musiker symbolisiert Jimi Hendrix die Sixties. Aufbruch, neue Horizonte, Anti-Establishment und eine Welt scheinbar ohne Grenzen – all diese Aspekte vereinen sich in einem Mann, der nicht nur das Gitarrenspiel revolutionierte und die Kompositionslehre auf ein Niveau wuchtete, sondern in seinen wunderbarsten Momenten einen Zustand erreichte, den sich alle Musiker wünschen: Er verschmolz mit seinem Instrument, übertrug seine Gefühle und Empfindungen direkt auf die Saiten seiner geliebten weißen Fender Stratocaster und kreierte Klänge, die den Weg in unbekannte Dimensionen wiesen. Vor 40 Jahren, am 18.9.1970, starb das Gitarrengenie. GoodTimes rekonstruiert die letzten Wochen, Stunden im Leben des James Marshall Hendrix.

August 1970
Jimi Hendrix arbeitet unermüdlich an seinem neuen Album, das als Doppel-LP erscheinen soll. Er benutzt die Arbeitstitel "Straight Ahead" und "First Rays Of The New Rising Sun". Kurzfristig denkt er sogar über ein Dreifachalbum nach, das er "People, Hell And Angels" nennen will. ln diesem Monat macht er auch seine letzten Home-Recordings. Seit März 1968 besitzt Hendrix eine Bandmaschine, auf der er Ideen festhält; Jimi hat sie mit nach Hawaii genommen, wo er die Hippie-Doku "Rainbow Bridge" dreht. Dort nimmt er "Scorpio Woman (Morning Symphony Ideas)" auf, ein Medley aus bekannten Riffs und neuen Einfällen.

1. August 1970
Jimi Hendrix spielt sein letztes USA-Konzert im International Center Honolulu, Hawaii. Genau wie bei den beiden Shows, die am Vortag für "Rainbow Bridge" mitgeschnitten werden, wird auch hier deutlich, dass er mit Mitch Mitchell an den Drums und Bassist Billy Cox seine Idealbesetzung gefunden hat.

15. August 1970
Ursprünglich sollte Jimis Tournee beginnen. Es war geplant, ein großes Konzert im englischen Stonehenge zu spielen, dann nach Mexiko zu fliegen, um auf der Halbinsel Yucatan aufzutreten und danach einige Japan-Termine wahrzunehmen. Die Ideen können nicht umgesetzt werden, darum wird das lsle Of Wight Festival der erste Gig der Reise.

24. August 1970
Jimis Lebensgefährtin Monika Dannemann fliegt von Düsseldorf nach London und mietet sich eine kleine Wohnung im Samarkand Hotel, 22 Lansdowne Crescent, Notting Hill.

26. August 1970
Seine letzte Studiosession. ln den Electric Lady Studios mastert er mit Eddie Kramer die Titel "Dolly Dagger" und "Night Bird Flying", die als Single-Auskopplung vor-gesehen sind. Danach spielt er neue Overdubs für eben diese Songs und auch für "Ezy Rider" und "Straight Ahead" ein. Uni 21:30 Uhr beendet er widerwillig die Arbeit und geht zur Eröffnungsparty der Studios, zu der unter anderen Yoko Ono, Johnny Winter, Noel Redding, Patti Smith und Mitglieder von Fleetwood Mac erschienen sind. Hendrix bastelt an Zukunftsplänen, ist begeistert von den vielen Möglichkeiten der Soundschmiede. Dennoch freut er sich nicht sonderlich auf die bevorstehende Europatour, da er lieber im Studio produzieren würde; außerdem plagt ihn eine Erkältung. Nach kurzer Zeit verlässt er die Party, da viele nicht geladene Gäste gekommen sind, die sich obendrein mies benehmen ,indem sie die Vorräume des Studios mit Zigarettenasche und verschütteten Getränken verdrecken.

27. August 1970
Flug mit Tourmanager Eric Barren von New York zum Heathrow Airport London. Die beiden fahren zum Londonderry Hotel in der Park Lane, in dem Hendrix die Park Suite für sich gebucht hat. Nach einem Interview mit der "Times" verbringt Jimi den Abend im angesagten Musikerschuppen Speakeasy. Dann kehrt er mit Eric Burdons Frau Angelina (Angie) und einem weiteren Mädchen in sein Hotel zurück.

28. August 1970
Laut Angies Freundin Kathy Etchingham rastet Jimi am Morgen aus und greift seine „Mitschläferinnen” an. Nach und nach beruhigt er sich und gibt mehrere Interviews. Am Abend besucht ihn die dänische Schauspielerin Kirsten Nefer, das Model führt ein angeregtes, mehrstündiges Gespräch mit ihm und verbringt die Nacht im Hotel. Trotz früherer Vorbehalte kann sie sich der Magie des Mannes nicht entziehen.

29. August 1970
Nach weiteren Interviews trifft sich Jimi mit Kirsten, ihrer Freundin Karen Davis und einigen anderen zum Lunch, gibt ihr eine Wegbeschreibung zum lsle Of Wight Festival und feiert am Abend mit Billy Cox und Stephen Stills im Speakeasy.

30. August 1970
Um 18:30 Uhr fliegen Hendrix, Mitchell und Cox zur lsle Of Wight, checken im Seagrove Hotel ein und werden dann zum Festivalgelände auf die Fast Afton Farm in Freshwater gebracht. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt: Was als „Großbritanniens Woodstock” geplant war, hat sich in einen Ort der Gewalt, der Auseinandersetzungen und der Respektlosigkeit verwandelt. Angebliche Hippies, die eine frühe Form des „Geiz ist geil"-Slogans propagieren, reißen die Zäune ein, prügeln ich mit der Polizei und pöbeln Veranstalter sowie Künstler an. Nefer, die mit dem Auto angereist ist, trifft Jimi in einem Wohnwagen, der als Garderobe dient. „Er hatte unglaubliche Angst, die Bühne zu betreten, sich gegen all diese Menschen zu stellen, und fühlte sich eingesperrt. Es muss vergleichbar mit den Ängsten gewesen sein, die Gladiatoren in der Arena im alten Rom überkamen.” Jimi beginnt das Set mit einer von Rückkopplungen verzierten Version der britischen Nationalhymne, wird aber bei den nächsten Songs immer wieder durch Streusignale gestört, die von der PA eingefangen werden. Unter anderem darf er sich über einen Jazzsong mit langem Xylofon-Solo und die Übertragung einer Oper „freuen”. Dennoch gelingt ihm mit "All Along The Watchtower" die wohl schönste Livefassung des Songs. Auch "Freedom", "Ezy Rider" und "Voodoo Chile" werden dem launisch reagierenden Publikum entgegengeschleudert, das sich mit gelegentlicher Buh-Rufen bedankt, ihn aber zum Schluss doch noch fei feiert. Hendrix beendet sein letztes Konzert in Großbritannien mit dem neuen Titel "In From The Storm". Er kehrt kurz ins Hotel zurück, verlässt die Insel aber so schnell wie möglich Richtung London.

31. August 1970
Flug nach Schweden zum Auftritt auf der Open-Air-Bühne in den Tivoli-Gärten Gröna Lund in Stockholm. Nach einigen Presseinterviews bereitet er sich auf das abendliche Konzert vor. ln der Garderobe leert er - laut Aussage des Fotografen Sigurgeir Sigurjönsson - eine kleine Flasche Whiskey. Dann kommt es zum Streit mit dem Veranstalter, der Jimis Auftritt auf eine Stunde begrenzen möchte, um danach die Kirmes wieder zu eröffnen. Als Hendrix die Bühne betritt, denkt er immer noch an die Auseinandersetzung, wirkt darum unkonzentriert und fahrig. Während Mitchells Drum-Solo verlässt er die Bühne und versucht, den Konflikt zu klären, doch ohne Erfolg. Dennoch hält er sich nicht an die Vorgaben, sondern spielt ein fast zweistündiges Set - die Fans sind begeistert, obwohl das Konzert eher durchschnittlich ist.

1. September 1970
Flug nach Göteborg zum Konzert im Vergnügungspark Liseberg. Die Country-Rock-Truppe Cat Mother spielt im Vorprogramm, Jimis Auftritt wird ein voller Erfolg. Mitch Mitchell fliegt nach Großbritannien zurück, um seine gerade geborene Tochter zu sehen. An diesem Abend nimmt Billy Cox unwissentlich zum ersten Mal LSD, da ihm jemand einige Tropfen in seinen Drink träufelt. Die Droge sorgt bei hm für extreme Angstzustände, gepaart mit schweren Muskelkrämpfen. Cox fühlt sich außerdem schon seit längerer Zeit überfordert und muss mit permanentem Leistungsdruck kämpfen. Diese Probleme werden durch den schlechten Trip ins Abnorme gesteigert.

2. September 1970
Jimi verpasst den Frühflug nach Dänemark, erreicht aber noch die 13-Uhr-Maschine. Eine leichte Erkältung hat sich zu einem schweren grippalen Infekt entwickelt. Er hat hohes Fieber und Schüttelfrost, leidet zudem an Schlafentzug und Erschöpfungssymptomen. Hendrix wird ins Hotel Atlantic in Arhus gefahren, wo eine Journalistenmeute auf ihn wartet. Vertraglich dazu verpflichtet, muss er mehrere Interviews geben. Das Konzert in den Vejlby Risskov Hallen in Aarhus wird zum Desaster. Die Band spielt "Freedom" und ein Medley aus "Message To Love"/"Hey Baby (The Land Of The New Rising Sun)", muss dann aber abbrechen - Jimi ist am Ende seiner Kräfte angelangt. ln der Garderobe bricht er in den Armen des Hallenmanagers Otto Fewsers zusammen.

3. September 1970
Nach einer erholsamen Nacht mit Kirsten Nefer geht es ihm besser. Die beiden machen sich auf den Weg nach Kopenhagen, wo sie zuerst bei Nefers Eltern zu Mittag essen. Später fahren sie in die KB Hallen, wo am Abend das Konzert mit den in Dänemark bekannten Blue Sun als Support stattfindet. Ganz im Gegensatz zum Vortag ist Hendrix in Top-Form, spielt fast zwei Stunden und bringt sogar "Hey Joe", einen von ihm zu diesem Zeitpunkt ungeliebten Song. Die Reporterin Sharon Lawrence ist begeistert: „Jimi wirkte wie die pure Gesundheit und spielt atemberaubend gut.” Helle Hellmann schreibt einen Tag später in der Tageszeitung "Politiken": „Das beste Konzert des Jahres! Diese Plattitüde wird zwar häufig benutzt, in diesem Fall hat sie aber ihre Berechtigung.”

4. September 1970
Die Band fliegt nach Berlin, um das „Super Concert 70” in der Deutschlandhalle zu spielen. Am späten Nachmittag wird Hendrix in der Garderobe von Chris Romburg gefilmt und interviewt. Er ist bester Laune, scherzt und singt sogar Textzeilen aus Mango Jerrys "In The Summertime". Im Vorprogramm treten unter anderem Procol Harum, Canned Heat, Ten Years After und Cat Mother auf. Jimi absolviert ein gutes Konzert, spielt viele Klassiker, aber auch neues Material. Doch der Funke will nicht so recht aufs Publikum überspringen. Robin Trower, damals noch bei Procol Harum : „Die haben es einfach nicht verstanden. Das ging über ihren Horizont hinaus Sogar ich als Gitarrist hatte meine Schwierigkeiten und kapierte nur einen Teil der Musik. Da kannst du dir vorstellen, wie es für die Zuschauer war.”

5. September 1970
Ausgeruht und fit verlässt die Band das Hotel Kempinski, fliegt nach Hamburg, von wo aus es per Bus und Bahn zur Fähre nach Fehmarn geht. Das Wetter hat sich verschlechtert, dunkle Wolken ziehen auf. Nicht das einzige Problem, denn bei Billy Cox haben sich die Angstzustände verschlimmert; auch höhere Dosen des starken Sedativums Thorazine können ihn nur bedingt ruhigstellen. Das „Love & Peace"-Festival auf der Insel wird von Beate Uhse subventioniert, die sich gute Werbung und satte Umsätze für ihre damals noch so genannten Hygieneartikel verspricht. Es soll das deutsche Woodstock werden, doch nur ein Bruchteil der angekündigten Bands treten auf, darunter Frumpy, Burning Red Ivanhoe aus Dänemark, Ginger Baker's Airforce und Fat Mattress, die neue Gruppe von Jimis Ex-Bassist Noel Redding. Als die Musiker beim Festivalgelände ankommen, bietet sich ihnen ein chaotisches Bild: Bewaffnete Hell's Angels schüchtern das Publikum ein, starke Regenschauer haben die Wiese in Morast verwandelt, die Stimmung nähert sich dem Nullpunkt. Gerry Stickells, Jimis Chef-Roadie und gelegentlicher Tourmanager, legt sich fest: Ein Auftritt unter diesen Bedingungen ist zu gefährlich, da der Sturm den Regen auf die Bühne bläst - dies ist besonders für einen E-Gitarristen, der weit vorn steht, lebensgefährlich. Grund: Zu Beginn der Siebziger verfügten weder Gitarren und Verstärker noch die PA über ein wirklich sichere Erdung, um derart extremen Wetterbedingungen zu trotzen. De Auftritt wird von Samstag auf Sonntag verschoben.

6. September 1970
Kurz vor 13 Uhr betritt Jimi Hendrix die Bühne. Das Wetter hat sich gebessert, die Sonne scheint. Trotzdem wird er ausgebuht und mit „Go Home"-Rufen empfangen. Hendrix entschuldigt sich dafür, dass er am Vortag nicht aufgetreten ist, und beginnt das Konzert mit "Killing Floor", mit dem er auch das legendäre Monterey-Pop-Festival 1967 eröffnet hatte. Doch bevor die Band zum nächsten Stück übergehen kann, muss er erneut die Menge beruhigen. Nach 13 Titeln ist Schluss. Chef-Roadie Stickells, der schon vor dem Konzert von einem Hell's Angel mit einer Kette verletzt wurde: „Es war so schlimm, dass wir schon während des Gigs Taxis bestellten, nach dem Auftritt schleunigst einstiegen und direkt nach Hamburg fuhren.” Auf Fehmarn bricht das Chaos aus, die Rocker setzen alles in Brand. Auch wenn einige Nostalgiker das Fehmarn-Festival in positivem Licht sehen - es war das wohl schlimmste Konzert, das Jimi Hendrix im Lauf seiner Karriere spielte. Und es war sein letztes! Die Zeilen des Songs "Voodoo Chile", mit denen er den Gig beendete, konnten prophetischer nicht sein: „lf I don't see you no more in this world, well I'll meet you in the next one, and don't be late, don't be late.”

7. September 1970
Jimi landet in Heathrow (London), fährt mit einem Taxi zum Londonderry Hotel, wird dort aber wegen des Zwischenfalls mit Angie Burdon und ihrer Freundin abgewiesen. Daraufhin bucht er die Suite 507/508 im Cumberland Hotel, Great Cumberland Place, in der Nähe von Marble Arch. Billy Cox geht es nicht gut, Stickells und Jimi bringen ihn zum Arzt.

8. September 1970
Am Nachmittag besucht ihn sein dänischer Schwarm Kirsten Nefer. Ein Anruf: Billy Cox geht es noch schlechter. Die beiden rasen zum Airways Hotel, wo sich Cox aufhält. Der sanftmütige Bassist erlebt Angstzustände der schlimmsten Form, sieht den Tod vor Augen. Jimi beruhigt ihn: „Niemand wird hier sterben.” Eins jedoch ist klar - Cox kann nicht mehr auftreten, er wird mit Beruhigungsmitteln behandelt und für die Rückreise in die USA vorbereitet. Hendrix sucht per Telefon einen neuen Bassisten, mit dem er die anstehenden Termine spielen kann - ohne Erfolg. Die geplanten Konzerte in den Niederlanden, Frankreich, Österreich und Deutschland müssen abgesagt werden. Am Abend schaut Jimi sich zusammen mit Kirsten und ihrer Freundin Karen Davis den Film "The Red Desert" von Meisterregisseur Michelangelo Antonioni an.

9. September 1970
Billy Cox wird - mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt - in die USA geflogen. Er soll sich bei seinen Eltern in Pennsylvania ausruhen.

10. September 1970
Jimi besucht eine Party für den Ex-Monkees-Musiker Mike Nesmith im Inn On The Park. Die beiden kennen sich von einer Tour im Juli 1967. Hendrix unterhält sich mit seinem Kollegen, äußert sich unzufrieden über die musikalische Richtung, die er selbst eingeschlagen hat, und spielt kurzfristig mit dem Gedanken der Gründung einer Rhythm & Blues-Band.

11. September 1970
Hendrix wird von Keith Altham im Cumberland Hotel für den "Record Mirror" interviewt. Es ist sein letztes Pressegespräch. Der Journalist beschreibt seinen Eindruck: „Jimi wirkte zerbrechlich und empfindlich, aber nicht deprimiert. Tatsächlich blickte er positiv in die Zukunft.”

12. September 1970
Der Produzent Alan Douglas und das abgedrehte Groupie Devon Wilson fliegen nach London. Für Hendrix symbolisiert Wilson das Paradebeispiel einer Femme Fatale. Er besingt sie in den Songs "Dolly Dagger", "Freedom" und in einer Version von "Crash Landing" vom April 1969. Sie hat von Jimis Affäre mit Nefer will ihn zur Rede stellen. (Devon Wilson stirbt im Februar 1971 unter mysteriösen Umständen im Chelsea Hotel in New York).

13. September 1970
Der berüchtigte Manager Mike Jefferys, der sich zu Beginn seiner Karriere die Animals kümmerte und nun Hendrix betreut, kommt nach London. Er kontaktiert Producer Alan Douglas, will von ihm Jimis Adresse haben, da er sich mit ihm über geschäftliche Belange unterhalten müsse. Der Produzent verweigert dies, da er Jefferys verachtet. Douglas ruft Jimi an, der ihn aber abwimmelt und den Abend bei seiner Freundin Alvinia Bridges verbringt, die er seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hat. Hendrix fühlt sich verfolgt, besonders vom Manager ist verängstigt und nur schwer zu beruhigen.

14. September 1970
Kirsten Nefer muss Jimi wegen Filmaufnahmen verlassen. Er besucht Monika Dannemann im Samarkand Hotel. Am Abend trifft sich Hendrix mit Alan und dem Pop-Impresario Danny Secunda in dessen Haus, um weitere Karriereschritte zu diskutieren. Es ist offensichtlich, dass er sich von Mike Jefferys befreien will. Die Unterredung dauert die ganze Nacht.

15. September 1970
Danneman holt Hendrix am Nachmittag im Cumberland Hotel ab. Sie treffen Burdon im Ronnie Scott's Club, der Sänger hatte Hendrix zu einer Session eingeladen. Jimi ist bekifft und fühlt sich schlecht, der Jam wird auf den nächsten Tag verschoben. Er ruft seinen Tontechniker Eddie Kramer an und bittet ihn alle Bänder aus den Electric Lady Studios nach England zu schaffen, um in einem Londoner Studio weiterarbeiten zu können. Kramer spürt deutlich, dass etwas nicht stimmt. Jimi verbringt die Nacht mit Dannemann. Sie reden über Kosmos Kunst, Musik und Religion. Er bestärkt Monika in ihrem Bestreben als Malerin. Ihre Wohnung wird für Jimi zu einem Schutzraum, zu einem Platz der Ruhe. Hier fühlt er sich sicher und verstanden. Angeblich schmieden die beiden Heiratspläne.

16. September 1970
Die Ereignisse beginnen zunehmend zu verschwimmen, offenbar haben sich unzählige Personen während Jimis letzter Tage mit ihm getroffen und unterhalten. Eine verbindliche Rekonstruktion des Tagesablaufs ist nur bedingt möglich. Es gilt am wahrscheinlichsten, dass er einen Teil des Tages mit Dannemann verbrachte, danach ins Cumberland ging. Sein Rechtsanwalt Henry Steingarten ist in London angekommen, um eine eingereichte Vaterschaftsklage mit ihm zu besprechen. Auch Manager Ed Chaplin bittet um eine Unterredung wegen einer Gerichtsanhörung, bei der es um eine Klage gegen die Plattenfirmen Track und Polydor geht. Hendrix ignoriert beide, besucht lieber mit Monika die Geburtstagsparty Freundin Judy Wong. Später trifft er Eric Burdon und War und spielt mit ihnen. Nach einigen Startschwierigkeiten läuft die Session gut. Dannemann zufolge verbringt Jimi die Nacht mit ihr; Alan Douglas und Manager Chas Chandler geben an mit Jimi bis etwa vier Uhr morgens Zukunftspläne besprochen zu haben

17. September 1970
Monika Dannemann macht am frühen Nachmittag im Garten des Samarkand 29 Fotos von Jimi, die ihn entspannt und natürlich zeigen, ganz im Gegensatz zu seinen üblichen Rockstarposen. Laut Dannemann will Jimi ihr Talent für sein neues Cover nutzen, zu dem sie außerdem gemalte Bilder beisteuern soll. Die beiden fahren in die Stadt, um Schreibpapier zu kaufen, geraten in einen Stau. Sie treffen Pillip Harvey, den Sohn eines bekannten Politikers der Konservativen, zusammen mit zwei Mädchen. Sie werden zum Essen eingeladen. Laut Harvey bleiben sie bis 22:40 Uhr. Als Jimi und Monika die Wohnung verlassen, streiten sie sich, was Harvey als Eifersuchtsanfall Dannemanns deutet. Die beiden kehren ins Hotel zurück. Um 23 Uhr kocht Monika eine kleine Mahlzeit. Jimi schreibt ein Gedicht, das später von Eric Burdon als Abschiedsbrief interpretiert wird. Es dürfte aber eher das Fragment eines neuen Songtexts sein - oder sogar ein kompletter Text, da Jimi der dem Titel "The Story Of Life" bereits die Tempoangabe „slow” vermerkt hat. Wie auch immer, die letzten Zeilen wirken im Zusammenhang mit den folgenden Ereignissen wie eine dunkle Vorsehung: "The story of life is quicker than the wink of an eye. The story of love is hello and goodbye / Until we meet again" Die beiden trinken noch Wein zusammen. Obwohl Jimi eigentlich Rotwein bevorzugt, greift er zum weißen.

8. September 1970
Tony Brown beschreibt in seinem Buch "The Final Days" die letzten Stunden von Jimi Hendrix auf über 30 Seiten; dabei verdeutlicht er, dass sichh viele Aussagen beteiligter Personen widersprechen. Statements, die in den folgenden Jahren an die Öffentlichkeit kommen, verzerren den Ablauf der Geschehnisse zusätzlich, ganz zu schweigen von wilden Verschwörungstheorien. Laut einem Brief von Angie Burdon bringt Dannemann Hendrix zu einer Party und wird von ihr um drei Uhr wieder abgeholt. Burdon behauptet, dass Jimi schon am frühen Abend dort war, Dannemann gibt die Ankunft mit 1:45 Uhr an, was wohl am wahrscheinlichsten ist. Zurück im Hotel unterhalten sich die beiden bis zum frühen Morgen und gehen gegen sechs Uhr zu Bett.
Monika nimmt eine Tablette des Schlafmittels Vesparax. Sie wacht etwa gegen 10:20 Uhr auf, kann nicht mehr schlafen. Sie bemerkt, dass keine Zigaretten mehr da sind, und geht zu einem Geschäft, um welche zu kaufen. Bis dahin hatte sie nichts Auffälliges an Jimi beobachtet. Als sie zurückkehrt, scheint es ihm immer noch gut zu gehen, doch dann bemerkt sie Erbrochenes in einem Mundwinkel. Sie versucht sofort, Jimis Arzt anzurufen, den Promi-Doktor Robert Freymann (dem Beatles den Song "Dr. Robert" widmeten), kann aber seine Nummer nicht finden. Nach weiteren Telefonaten will sie Alvinia Bridges erreichen, die die Nacht mit Eric Burdon verbracht hat. Monika hat Glück und spricht kurz mit ihr. Burdon will beruhigen und rät ihr, für Jimi Kaffee zu kochen und ihn mit einigen leichten Klapsen ins Gesicht zu wecken.
Danach döst Burdon wieder ein. Dann wird ihm offenbar die gefährliche Situation bewusster, er ruft im Samarkand an und drängt Monika, einen Krankenwagen zu rufen. Das geschieht um 11:18 Uhr. Neun Minuten später erreichen die Rettungssanitäter Reg Jones und John Saua das Hotel. Sie geben zu Protokoll, dass Hendrix über und über mit Erbrochenem bedeckt ist. Lebenszeichen sind angeblich nicht mehr festzustellen, die Atemwege vollständig blockiert. Es wird klar, dass er Vesparax genommen hat, wahrscheinlich neun übriggebliebene Pillen aus der Folie, die die Sanitäter finden. Allerdings musste Hendrix schon lange Schlafmittel nehmen und hatte somit eine hohe Resistenz gegenüber dem Medikament aufgebaut. Die Sanitäter benachrichtigen die Polizei, die innerhalb kürzester Zeit zur Stelle ist, und fahren Hendrix zum Hospital St. Mary Abbots, wo sie um 11:45 Uhr eintreffen.
Zuerst erscheint der Notfallarzt, der Chirurg Dr. John Bannister, zur Versorgung, kurz danach der diensthabende Arzt Dr. Martin Seifert. Bannister gibt bei seiner ersten Aussage an, Jimis Tod festgestellt zu haben, doch der Todeszeitpunkt wird offiziell mit 12:45 Uhr angegeben, also eine Stunde nach der Einlieferung. Während dieses Zeitraums muss folglich eine Behandlung stattgefunden haben, denn sonst wäre Bannister dazu verpflichtet gewesen, das DOA-Formular („Deal On Arrival", „Tod Ankunft”) auszufüllen. Der Arzt erklärt in einem Interview, das in der "Times" vom 18. Dezember 1993 scheint, dass Hendrix bei der ersten Untersuchung schon seit Stunden und nicht erst einige Minuten tot gewesen sein muss. 1995 fügt Bannister hinzu, dass die Lungen voll mit „Unmengen von Rotwein” gewesen wären.
Dr. Seifert hingegen stellt in einer BBC-Sendung am 10. September 1995 fest: „Als er eingeliefert wurde müssen wir gedacht haben, dass es noch die Möglichkeit einer Wiederbelebung geben hat.” Der angesehene Gerichtsmediziner Professor Donald Teare ist für die Autopsie verantwortlich, die er am 28. September 1970 durchführt. Er findet keine Anzeichen für Drogenmissbrauch (etwa Heroin oder Cannabis), kann aber verschiedene Barbiturate und Reste eines Aufputschmittels (Black Bomber genannt) nachweisen. ln den Lungen findet er 400 ml einer Flüssigkeit, in den Bronchien sind Reste des Erbrochenen zu sehen. Eine Feststellung des Todeszeitpunkts wird nicht (!!!) vorgenommen. Die offizielle Todesursache lautet „Inhalieren von Erbrochenem, ausgelöst durch eine Barbituratvergiftung”. Anders als Dr. Bannister kann Teare nur einen geringen Alkoholspiegel im Blut feststellen, was bedeutet, dass die „Unmengen Rotwein” nie in seinen Magen gelangt sind und somit auch nicht ins Blut absorbiert werden konnten; der Rotwein müsse demzufolge in die Lunge gelangt sein, da der Hustreflex durch die Medikamente stark gedämpft war.
Doch wie lässt sich das erklären? Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Warum wurde der Versuch unternommen, Jimi wiederzubeleben, wenn er angeblich schon länger tot war? Warum wurde nicht sofort der konkrete Todeszeitpunkt festgestellt? Die Rettungssanitäter erkannten Jimi Hendrix nicht, aber spätestens im Krankenhaus war klar, dass es sich hier um eine populäre Persönlichkeit handelte. Gab es einen Behandlungsfehler, der vertuscht wurde? Monika Dannemann berichtete, dass sie im Transporter mitgefahren sei, was aber von den Sanitätern dementiert wurde. Auch das Personal im Krankenhaus will Monika nie gesehen haben. Dies wären Belege für einen Fehler, der geschickt geleugnet wurde, um ihr eine Teilschuld an Jimis Tod anzulasten. Laut Buchautor Tony Brown änderte aber auch Dannemann ihre Aussagen. Wieso? Warum begann auch schon am Tag nach dem Tod von Jimi eine Hexenjagd auf die Düsseldorferin, die sogar noch nach ihrem Selbstmord am 5. April 1996 in Seaford, East Sussex, andauerte? Besonders schlimm ist hier die Publikation von Sharon Lawrence ("Jimi Hendrix: The Man, The Magic, The Truth"; 2005), die im übelsten Gossen-Journalismus über alle Frauen in Jimis Nähe herzieht, speziell aber Dannemann angreift. Warum nahm sich Monika das Leben, obwohl sie von Zeitzeugen zum damaligen Zeitpunkt keineswegs als depressiv beschrieben wurde?
Gab es tatsächlich Verstrickungen mit dem FBI, der CIA oder der Mafia, wie Verschwörungsfanatiker Alex Constantine behauptet? Ein Mordkomplott? Tatsache ist, dass das FBI eine Akte über Jimi angelegt hatte, seit er sich für die Black Panther engagierte. Nur ein Teil des Materials wurde zögerlich freigegeben, was die Antragsteller, Studenten der Campus-Zeitung der Santa Barbara University, 1979 aber auch nicht zufriedenstellte - denn fast alle Passagen waren geschwärzt. Aus all den verschiedenen Aussagen können unterschiedlichste Schlüsse gezogen und voneinander abweichende Szenarien erstellt werden.
Eine eindeutige Rekonstruktion der letzten Stunden des Gitarrengottes ist aus heutiger Sicht ausgeschlossen. Nach Jimis Ende wurden unzählige (auch angebliche) Zeitzeugen und Weggefährten zu seinem physischen und psychischen Zustand befragt, deren Aussagen voller Widersprüche sind. Die Darstellungen reichen von „ein selbstmordgefährdetes Wrack” über „labil, aber auf dem Weg der Besserung” bis zu „aufblühend, gesund und voller Tatendrang und Ideen”. Besonders die Boulevardpresse versuchte, Hendrix so reißerisch wie möglich zu beschreiben, um ihn in das Klischee „Sex, Drugs & Rock'n'Roll” pressen zu können. Dadurch entstand ein verzerrtes Bild. Drummer Mitch Mitchell: „Falls Hendrix die ganzen Drogen eingeworfen hätte, die ihm Zeitungen und Bücher andichteten, hätte er niemals so lange gelebt.”
Schon kurz nach Jimis Tod schwebten Aasgeier auch über seinem materiellen Erbe, das erst 1995 fast vollständig seinem Vater Al Hendrix zugesprochen wurde. Der jahrelange widerwärtige Rechtsstreit ist ein weiteres Kapitel, das ganze Bücher füllen könnte. Unter finanziellen Aspekten ist das Hendrix-lmperium eine dauerhaft sprudelnde Geldquelle: Sie wirft nicht nur Tantiemen und Geld aus Musikverlags-rechten ab, sondern spült auch durch die Lizenzierung für T-Shirts, Poster, Kaffeetassen etc. jedes Jahr Millionen in die Kassen der Rechte-Inhaber. Den Fans bleibt die wunderschöne, wegweisende Musik aus Klanglandschaften, die nach Jimi Hendrix niemand mehr betreten hat ...

Alan Tepper

Quellen: Johnny Black- "Jimi Hendrix: The Ultimate Experience" (Thunder's Mouth Press, 1999) ISBN 1-56025-240-5. Tony Brown - "Hendrix: The Final Days" (Rogan House, 1997) ISBN 0-7119-5238-8.
Tony Brown - "Jimi Hendrix: Concert File' (Omnibus Press, 2000) ISBN 978-071197-510-1.
Alex Constantine - "Tötet den Rock'n'Roll" (Strange Verlag, 2002) ISBN 3-89064-813-4.
Charles R. Cross - 'Jimi Hendrix - Hinter den Spiegeln: Die offizielle Biografie'(Hannibal, 2006) ISBN 978-38544-5264-5.
Gary Geldeart & Steve Rodham - "Jimi Hendrix: The Studio Log" (Jlmpress, 2007) 978-0-9527686-4-7.
Sharon Lawrence - "Jimi Hendrix: The Man, The Magic, The Truth' (Pan Books, 2005) ISBN 978-0-330-43353-2.
Harry Shapiro & Caesar Glebbeek - "Jimi Hendrix: Electric Gypsy" (Revised and updated) (Mandarin. 1993) ISBN 0-7493-0544-4.

Mit freundlicher Genehmigung von Alan Tepper.  ©
Magazin GoodTimes Nr. 5/2010 Oktober/November "Music from the 60s to the 80s"
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